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Urs Bugmann: Skulptur Schwerverkehrszentrum Ripshausen 30. April 2010

Wozu braucht es hier Kunst? Auf 70 000 Quadratmetern herrschen hier Klarheit, Funktion und Nutzen. Lastwagen fahren vor, reihen sich auf, werden kontrolliert und wieder auf die Reise geschickt. Um die Abläufe zu gewährleisten, haben die Architekten eine zurückhaltende und vorzügliche, eine klare und funktionale Architektur bereitgestellt. Das ist schon Kunststück genug, was soll denn hier noch ein Kunstwerk?

Die Kunst hat keine Aufgabe und keinen Nutzen, aber sie ist lebensnotwendig. Sie hält, hier zum Beispiel, wo nichts als die Nützlichkeit regiert, den Gedanken an das Unnütze wach. Sie macht bewusst, dass es noch etwas anderes gibt als nur die Klarheit und die Funktionalität. Die Kunst setzt einen Gegenakzent.

Allerdings nimmt es diese dreiteilige Skulptur von Maria Zgraggen, was die Klarheit angeht, durchaus mit ihrer Umgebung auf: Die Künstlerin setzt eine deutliche Geste. Sie gestaltet den Raum, in den sie eingreift, auf eine Weise, die erst erleben lässt, dass hier ein Raum ist. Dass es nicht nur die linearen Wege, die regelnden Zeichen gibt, nicht nur eine Benutzeroberfläche, sondern dass hier ein Ort ist, wo sich nicht nur Maschinen und Geräte begegnen, sondern Menschen. Maschinen brauchen keine Kunst, den Menschen ist sie ein Notwendiges.

Die Skulptur öffnet durch ihre Bewegung in der Senkrechten eine Sphäre, die über das Flache und Ebene hinausweist. Anders als die Hinweisschilder und die Verkehrszeichen und -signale widersetzt sich diese Skulptur der eindeutigen und unmissverständlichen Bedeutung. Sie setzt ein Zeichen, das sich nicht einfach und geradlinig übersetzen lässt. Die Zeichen der Kunst sind vieldeutig, und das gilt auch hier.

Natürlich lässt sich ein Sinn aus diesem Kunstwerk herauslesen, sogar mehr als eine Bedeutung ist ihr zuzumessen. Die Farbe setzt den lebensfrohen Kontrast zum nützlichen Grau ringsum, knüpft gleichzeitig aber auch an der Farbigkeit der Lastwagen aus aller Herren Länder an. Vielleicht sind es gefärbte und bedruckte Planen, die hier zu drei Ovalen aufgewickelt sind? Vielleicht verdanken sich die Farben den unterschiedlich markierten Routen auf der Karte, auf dem Display des Navigationsgeräts. Vielleicht auch weist die Unregelmäßigkeit der gleichartigen Formen nur hin auf etwas, was außerhalb jeder Regel liegt? Und indem dieses Außerhalb betont wird, scheint gleichzeitig das Gegenbild auf, von dem es sich abgrenzt.

Die Skulptur weckt Gedanken und Bilder. Sie richtet die Aufmerksamkeit aus der horizontalen Sichtbarkeit in eine vertikale Verbindung zum Unsichtbaren, von der fassbaren Materie zum Unfassbaren, das uns nachhaltig und immer wieder beschäftigen kann. Natürlich kann sich niemand, der hier mit seinem schweren Gefährt vorbeikommt, leisten, über diesem Kunstwerk ins Grübeln zu kommen. Er wird es dennoch wahrnehmen, wird ein Zeichen sehen, das er nicht deuten muss, weil es seine Wirkung auch so tut: Es spricht die Intuition an, ein Sehen und Verstehen, das im Unbemerkten abläuft. Wir hier können es uns leisten, das Unbemerkte hervorzuholen und uns darüber unsere Gedanken zu machen.

Maria Zgraggen hat ein nicht nur in seinen Ausmaßen großes Werk geschaffen, sondern auch nach seinen inneren Dimensionen. Die 1957 in Schattdorf geborene Künstlerin, die seit 15 Jahren in Bürglen lebt, in Sichtlinie zu ihrem Kunstwerk hier, setzt ein Zeichen, das sich einfügt und heraushebt. Das ein Gegenbild gibt zur Funktionalität des Orts und zugleich die Klarheit betont, die hier bestimmend und unabdingbar ist. Dass es hier Kunst braucht, das macht dieses Werk deutlich. Sie erst fasst zur großen Geste zusammen, was sonst nur Bestandteile von funktionalen Abläufen sind, was zwar einen Zweck, aber noch keine Bedeutung hat.

Noch nie bisher hat Maria Zgraggen in dieser Größenordnung gearbeitet. Ihre Malerei kennt zwar lange schon die Rhythmen und die Räume, die Vieldeutigkeit der offenen Bezüge, und in ihren Installationen und Objekten ließ die Künstlerin die Fläche des Bildes immer wieder hinter sich zurück. Doch hier ist ihr eine Skulptur gelungen, die gültig beweist, dass ihre Malerei mehr als nur zwei Dimensionen erschließt und dass die Kunst auch ohne Aufgabe und Nutzen ihre Notwendigkeit hat - nicht für die Räume und Maschinen, aber für die Menschen, die darin und damit umgehen.

Einweihungsrede: Erstfeld, 30. April 2010